Die gestiefelte Kabira auf Wohnungssuche

Berlin

In den alten Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat... Äh, nein... In jüngerer Zeit, als alle längst wussten, dass Wünschen nicht hilft, lebten drei herangewachsene Geschwister, zwei junge Männer und deren Schwester, das Nesthäkchen, bei ihrer Mutter in einem Haus mit Garten nahe der Stadt. Eines Tages nun starb die alte Frau. Ihre Kinder bekümmerte dies sehr, doch kaum war das Begräbnis vorüber, gerieten sie in Streit über das Erbe. Letztlich zog der ältere Sohn in das Haus, der jüngere in die zugehörige Garage und Nesthäkchen, dem die Brüder das Nest voller Ratten in der Hecke am Gartenzaun zugedacht hatten, in die Stadt. Sie schlüpfte in festes Schuhwerk, setzte sich drei ihrer Tiere auf die Schultern und stiefelte mit ihnen los. Von ihren Ratten wurde sie Kabira, die Große genannt und damit war mehr als ihre Körpergröße gemeint. Nomen est Omen.

In der Stadt sah sie viele schöne Häuser und überlegte, in welchem sie wohnen wollte. Da sie sich jedoch nicht entscheiden konnte, lief sie geradewegs auf das erstbeste zu und klopfte an. Aber es öffnete niemand. Sie versuchte es an der zweiten Tür, hatte auch dort keinen Erfolg, ging zur dritten, hatte kein Glück und immer so weiter. Als es dunkel wurde, fischte sie Essenreste aus einem Container, setzte sich erschöpft am Straßenrand nieder, teilte mit ihren Ratten, was sie hatte, und alle vier schliefen ein.

Am nächsten Morgen rappelten sie sich noch vor dem Morgengrauen auf, erledigten im Gebüsch des Stadtparks ihre Notdurft und Kabira wusch sich am Brunnen, wobei ihre drei Tiere interessiert zuschauten; sie wuschen sich nicht mit Wasser. „Heute müssen wir es anders anstellen“, sprach Kabira zu ihnen, nachdem sie die Morgentoilette beendet hatte. Ihre drei schönen und treuen Begleiter nickten weise. Kabira setzte daraufhin eine von ihnen in die Kapuze ihres Shirts, die beiden anderen in je eine ihrer Jackentaschen und folgte dann den ersten Fußgängern in Richtung Marktplatz.

Dort mischte sie sich unter die Leute und sprach die Umstehenden an. „Sag, wo steht dein Haus? Wer geht ein und aus?“ Dabei zeigte sie auf sich und die spitzen Nasen ihrer drei Begleiter, die an unterschiedlichen Stellen aus ihrer Kleidung hervorlugten. Die Antworten klangen fast alle gleich. „Kein Haus nennt sich mein, die Wohnung ist klein und Mittellose dürfen nicht rein.“

Nachdenklich sank Kabira auf eine Bank. „Wem eigentlich gehört die Stadt?“, flüsterte sie kaum hörbar vor sich hin, während ihre drei Ratten umherflitzten und einsammelten, was während des geschäftigen Treibens um sie herum zu Boden gefallen und achtlos liegengeblieben war. Es wurde eine üppige Mahlzeit für alle, die kamen, und es kamen viele, denn Ratten sind kontaktfreudig. Hunderte ihrer Artgenossen fanden sich ein.

Wind kam währenddessen auf und pustete Kabiras leise Worte durch die Straßen und über die Plätze:

Wem gehören die Neubauten, ihr Leute?
Wem gehören die Altbauten, ihr Leute?
Wem gehören die Modulbauten, ihr Leute?

Ihre Worte wurden lauter und lauter und letztlich zu einem stürmischen Brausen. Die Menschen in ihren Mietwohnungen öffneten die Fenster und riefen unüberhörbar:

Ich zahle an die Wohnovia.
Von mir kassiert die Duck GmbH.
Ich schulde der Big Immobilia.

Und der Wind trug die Antworten zurück zu Kabira. Die wusste nun plötzlich, was zu tun war, erinnerte sich ihrer Stiefel, schnürte sie fester und machte sich auf den Weg. Ein Heer von Ratten folgte ihr und mehr und mehr dieser schönen, weisen, getreuen Tiere schlossen sich an.

Pärchenweise schlichen sich die Vierbeiner über Kanalisation und Kellerfenster in die Häuser und begannen darin, sich wie Karnickel zu vermehren, denn das können Ratten auch. Es dauerte nicht lange und sie übernahmen die Regie. Kein Kammerjäger kam gegen sie an. Wertvollster Wertverlust bescherte den Mietern stetig sinkende Mieten, zu guter Letzt gaben die Hausbesitzer auf und schenkten die Häuser denen, die darin wohnten. Die Ratten zogen wieder aus und wurden mit lebenslanger Rente in Form von Naturalien entlohnt. Nur die drei, die Kabira aus der Hecke vor dem Haus ihrer verstorbenen Mutter zu sich genommen hatte, blieben bei ihr. Zu viert bezogen sie eine hübsche Hausmeisterwohnung und kümmerten sich in ihrem Viertel um Reparaturarbeiten, Ordnung und Sauberkeit.

Text: Miriam Hartz 


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