Wie gestalten wir den öffentlichen Raum?

Leipzig

Heutzutage hat Einsamkeit Hochkonjunktur. Vor allem während des Lockdowns, aber bei weitem nicht erst seitdem, litten Menschen an Einsamkeit. Das Syndrom bewirkt bei Betroffenen, dass sie sich von sozialen Gruppen ungewollt isoliert wahrnehmen. Momentan stärkt Einsamkeit den Machterhalt der Mächtigen und schwächt Ohnmächtige. In den letzten Monaten haben sich Menschen draußen getroffen, um das Ansteckungsrisiko zu verringern. Doch wie steht es eigentlich um die Plätze an der frischen Luft? Was brauchen die Menschen im öffentlichen Raum, und besonders die, die hier wohnen?

Draußen

Zuerst brauchen wir Trinkwasserbrunnen. In Leipzig gibt es bereits einen Dauerläufer, ein Geschenk der Stadt Wien und ein paar pilzähnliche Knopfwasserhähne. Zuletzt wurde durch eine Umfrage der Wasserwerke mit über 4000 Teilnehmenden festgelegt, dass im Osten der Stadt, genauer am Völkerschlachtdenkmal und in Paunsdorf am grünen Bogen weitere Brunnen installiert werden.

Meine Großmutter auf ihrer Reise nutzt ein Trinkwasserbrunnen allein allerdings nicht viel. Auf Reisen trinkt sie kaum etwas, weil sie nicht weiß, wann sie das nächste Mal auf einer annehmbaren Toilette sitzen kann. Sie unternimmt übrigens kaum noch Reisen, weil die Versorgung mit Toiletten in Deutschland so schlecht ist. Dabei würden inklusive Hygieneeinrichtungen nicht nur die regelmäßig auftretenden Probleme meiner Oma und die anderer behinderter Menschen lösen, sondern die aller Menschen. Egal ob vor dem Vorstellungsgespräch, nach dem Gang zur Behörde, vor dem Treffen mit dem Immobilienmakler, nach der Arbeit am Spielplatz öffentliche Toiletten helfen. 

Draußen

Sie könnten auch zu einem Versorgungspunkt im öffentlichen WLAN-Netz werden. Wie wäre es, wenn ein Kind im Schulunterricht im Park mit dem Schul-Tablet im öffentlichen WLAN herausfindet, dass die Pflanze vor ihm dreißigmal mal älter ist als es selbst? Optimisten würden behaupten, dass das in Leipzig in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein könnte. In jedem Fall geht eine drogenabhängige Obdachlose frisch gewaschen und mit öffentlich zugänglichen Hygieneartikeln versorgt sicher viel lieber zum Zahnarzt.

Für die Ganzkörperhygiene bietet Leipzig viele Seen als kostenfrei nutzbare Badestätten. Aber warum haben die Schließfächer und Toiletten nicht rund um die Uhr offen? Und wo sind die Trinkwasserbrunnen?

Nicht nur an den Badestätten fehlen außerdem ein paar Mülleimer. Liebe Stadtreinigung, auf Eurer Webseite habt Ihr schon eine digitale Karte bereitgestellt. Bestimmt habt Ihr schon gemerkt, dass dort blinde Flecken auftauchen. Wie wäre es mit einer Mitmach-Aktion: Aus Liebe Körbe verteilen - Schicke uns deinen Standort und wir installieren einen Mülleimer. (Das Konzept ist auch übertragbar 😉) Für geschlossene Wertstoffkreisläufe sollten diese auch Stadttier-sicher sein, denn Fuchs und Krähe bekommt Menschenessen nicht gut. Angebrachte Pfandflaschenhalter helfen außerdem, Ordnung mit Sicherheit zu verknüpfen. ((Wann kommt eigentlich das Gesetz für die Tabakindustrie, ausschließlich schnell biologisch abbaubare, umweltverträgliche Zigaretten herzustellen?))

Draußen

Natürlich brauch jeder auch einen privaten Rückzugsort, aber wie wäre es, wenn die Leipziger Gemeinschaft mehr öffentliche Schutzzonen zur Verfügung stellen würde? Im gesamten Stadtgebiet scheint es an Sitz- und Liegegelegenheiten, ggf. mit Wind-und Regenschutz zu mangeln. Bei einem Anfall von Bauchschmerzen, musste ich mich bereits auf dem Boden ausruhen. Solches Verhalten schafft allerdings auch Anlass zum Austausch. Aus manchen Begegnungen könnten Graswurzelbewegungen für mehr bequeme Bänke in Form von Vereinen, Mieterverbänden, Hausgemeinschaften, Gewerkschaften, Arbeitnehmerverbänden, Konsumentenverbände entstehen. (So ein Konsumentenverband könnte sich sogar als Lobby für ein wertvolleres Lieferkettengesetz stark machen.)

Leider ist kostenfreier, öffentlicher Personennahverkehr noch Zukunftsmusik, aber zumindest die Fahrradmitnahme ist in der S-Bahn schon weitestgehend kostenfrei. Fahrradwege für E-Bikes, Fahrräder, Inliner, Zufußgehende, Spaziergänger:innen und Skater könnten hierzulande ebener sein, aber mit der Stärke des Fahrradweg-Netzes sind die Leipziger:innen verwöhnter, als die Berliner:innen. In der Innenstadt gibt es viele Einbahn-Auto-Zweibahn-Fahrrad-Straßen.

Draußen

In Halle an der Saale wird bereits dem Fluss durch eine Wärmepumpe Energie entzogen und diese nutzbar gemacht. Dadurch sinkt die Wassertemperatur im Gewässer und der klimawandelbedingte Erwärmung der Flüsse wird entgegengewirkt. Wäre dieses Konzept, mitentwickelt von Saxony5 auch etwas für die Leipziger Pleiße?

Der Erhalt der für die Region typischen Auwäldern mit ihren hohen Grundwasserspiegel und ihren Überschwemmungsbereichen an Bächen und Flüssen verträgt sich gut mit dem Prinzip der Schwammstadt. Darin sollen die Landschaften Starkregenereignisse und Dürren abmildern, indem sie z.B. wie Amphitheater geflutet werden. Dabei ist es wichtig, dass alte, gesunde Bäume nicht gefällt werden und schon tote liegen bleiben. Totes Stammholz in Wälder saugt Wasser genau wie ein Schwamm und erspart nebenbei Insektenhotels. Das Leipziger Gebiet zählt viele Landschaftsschutzgebiete, aber nur 1.7% der Fläche ist Naturschutzgebiet. Letztlich ist aktiver Naturschutz nicht nur die beste Vorbeugung gegen Zoonosen wie Corona, sondern auch vor Einsamkeit.

Dancing

Noch ein paar praktische Tipps:

  • Die App „Trinkwasser unterwegs" zeigt deutschlandweit bereits sprudelnde Brunnen mit Trinkwasser.
  • Im ganzen Stadtgebiet können Brombeeren, Äpfel, Holunder, Birnen, Kirschen und viele weitere pflanzliche Nahrungsmittel geerntet werden. Auch wenn Walderdbeeren noch auf der Leipziger Karte fehlen, lohn sich ein Besuch auf mundraub.org.
  • Andere Sharing (dt. teilen) -Konzepte und Organisationen unterhalten Stationen für Nahrungsmittel. Elf Fairteiler gibt es schon im Stadtgebiet. Dort können vor dem nächsten Urlaub alle ungekühlt lagerbaren Reste deponiert werden. Nach einem Hinweis auf foodsharing.de wird das Essen bestimmt abgeholt und verwertet. 
  • In Telegram-Gruppen werden Bücher, Spielzeug, Kleidung und Haushaltsgegenstände getauscht. 
  • Selbst ungefähr eine Schulkasse Hunde sucht über Dogsharing.de die kostenfreie Gesellschaft von Gassi-Gefährten.
  • Wissbegierige werden auf dem QR-Code basierendem Lehrpfad im Botanischer Garten, ein Projekt des Zentrums für Diversitätsforschung (iDiv), für Diversität begeistert.

Foto & Text: Kristin Wappler

Berliner Fenster 4Berliner Fenster 4Berliner Fenster 4
Berliner Fenster 3Berliner Fenster 3Berliner Fenster 3

Zum Inhalt.
Zurück zur aktuellen Ausgabe.